Freie Dorfgemeinschaft Schwangau

Nationalpark Ammergebirge

Vortrag von Robert Berchtold im Schlossbrauhaus Schwangau am 03.07.2012

Wenn man die schönen Bilder heute oder auf der Internetseite des Fördervereins sieht, wenn man den Vortrag von Dr. Ehrhardt hört oder die Texte des Fördervereins liest, könnte man meinen, die Sache ist ganz klar:

Ein Nationalpark Ammergebirge ist eine rundum tolle Sache. Kritische Stimmen kommen nur von Leuten, die was nicht ganz verstanden haben, und sollte ausnahmsweise ein kleiner Einwand doch mal stichhaltig sein, macht man halt eine kleine Ausnahme in einer künftigen Nationalparkverordnung. Kurzum – jeder – so wird versprochen – kann nur gewinnen.

Als Bürger dieses Landes, als Gemeinderat in Schwangau, und als Forstmann wenige Jahre vor dem Ende meiner Berufstätigkeit komme ich zu anderen Schlussfolgerungen und Ergebnissen als die Befürworter eines Nationalparks Ammergebirge.

Jetziger Schutzstatus

Das vorgeschlagene Gebiet ist, wie ausführlich dargelegt, eine grandioser Lebensraum, eine grandiose Landschaft und wie Dr. Ehrhardt bestätigt, in einem schützenswerten Zustand.

Das ist so, weil zum einen die Lage und Zugänglichkeit des Gebietes einen rohen Umgang mit der Natur, wie er vielfach in anderen Gebieten praktiziert wurde, nicht zuließen, zum anderen weil Generationen von Bauern, Förstern, Jägern pfleglich gewirtschaftet haben und diese Landschaft zu dieser herausragenden Kulturlandschaft – ich wiederhole es – Kulturlandschaft geformt haben, wie wir sie heute als Ergebnis vorfinden.

Das wird, so denke ich, auch so bleiben. Warum?

Weil schon jetzt eine Vielzahl von Schutzvorschriften dafür sorgen, allen voran eine Verordnung über das Naturschutzgebiet Ammergebirge mit ihren rund 30 Verboten.

Ausgenommen von den Verboten ist die ordnungsgemäße Ausübung von landwirtschaftlicher, forstlicher und jagdlicher Nutzung, allerdings auch dies unter z. T. beträchtlichen Auflagen.

Zusätzlich zur Verordnung über das Naturschutzgebiet kommen seit einigen Jahren die Vorschriften über das FFH- und SPA-Gebiet (also europäische Schutzvorschriften, (im Langtext Flora, Fauna, Habitatrichtlinie bzw. Special Protected Area, Europäische Vogelschutzrichtlinie).

Deren zentraler Inhalt ist ein Verschlechterungsverbot, d. h. es ist alles untersagt, was zu einer Verschlechterung des Zustandes führt.

Ein weiteres:

Das vorgeschlagene NP-Gebiet wurde bis 2005 von der Bayerischen Staatsforstverwaltung, konkret von den Forstämtern Füssen, Oberammergau, Garmisch und seit 2005 durch die Bayerischen Staatsforsten, Betrieb Oberammergau, bewirtschaftet. Dies geschieht professionell, naturnah, nachhaltig und mit einem Naturschutzkonzept der BaySF für den Betrieb Oberammergau, das seinesgleichen sucht. Es gewährleistet, dass die Bewirtschaftung die herausragende Naturausstattung ausreichend berücksichtigt und dass die wertvollen Lebensräume und Gebiete erhalten bleiben.

Das heißt im Klartext: Der jetzige Schutzstatus reicht völlig aus, das Gebiet in dem Zustand zu halten, der, so gibt es auch der Förderverein zu, gut ist.

Artenschutz

Die Gleichung – Menschliche Nutzung führt überall zu einem Artenrückgang und deren Aufgabe automatisch zu einer größeren Vielfalt an Arten- und Lebensräumen – stimmt natürlich nicht. Sie stimmt auch für das Ammergebirge nicht, weil hier viele artenreiche Lebensräume erst durch menschliche Nutzung entstanden sind. Ich nenne als Beispiel die enge Verzahnung von Wald- und Weideflächen und die extensiv bewirtschafteten Alpflächen.

Nachhaltige Forstwirtschaft auf ganzer Fläche

Eine zentrale Rolle im Ammergebirge spielen Wald- und Forstwirtschaft, allein schon deshalb, weil das Gebiet überwiegend bewaldet ist.

In Mittel- und Teilen Osteuropas hat sich seit Jahrhunderten eine nachhaltige Forstwirtschaft entwickelt, die weltweit ihresgleichen sucht. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit, der heute in aller Munde ist, wurde vor 299 Jahren von deutschen Forstleuten eingeführt ist heute in vielen Lebensbereichen aktueller denn je.

Neben dem Prinzip der Nachhaltigkeit ist zentraler Gedanke unserer Forstwirtschaft, dass wir möglichst auf der ganzen Fläche nachhaltig, pfleglich und naturnah wirtschaften. Dies schließt im Einzelfall aus besonderen Gründen kleinflächigen Nutzungsverzicht mit ein, z. B. in Naturwaldreservaten.

Das deutsche und mitteleuropäische Prinzip der Waldwirtschaft unterscheidet sich – ohne dass ich das werte – fundamental von einem Ansatz, der in vielen anderen Teilen der Welt praktiziert wird, nämlich: Intensivforstwirtschaft auf der einen und Totalreservat auf der anderen Seite.

Schutzwald

Im Ammergebirge schützt der Wald auf großer Fläche Ortschaften, Straßen und Infrastruktureinrichtungen vor Steinschlag, Lawinen, Muren und Hochwasser und vielem mehr.

Millionen Euro wurden in den Erhalt und die Verbesserung von Schutzwäldern investiert. Millionen an Steuergeldern, die gut angelegt sind, weil sie nicht nur die Menschen hier vor Naturgefahren schützen helfen, sondern auch z. B. die Bewohner von Passau, die auch lieber eine etwas niedrigere und spätere Hochwasserwelle erleben, als eine schnellere und höhere. Ich weise hier auch noch auf die Wildholzproblematik bei Nutzungsaufgabe hin.

Nichts tun ist hier nicht angesagt. Denn die Natur arbeitet im Wald nicht so, wie wir uns das oft vorstellen. Sie verjüngt Wälder nicht so kleinflächig und wohldosiert, sondern sehr, sehr oft durch Katastrophen wie Waldbrände in Amerika oder Borkenkäfermassenvermehrungen oder Stürme bei uns. Das ist in unbesiedelten Weiten Nordamerikas manchmal schon ein Problem, bei uns wäre es eine Katstrophe.

Was bedeutet das:

Professionelle Schutzwaldsanierung, Schutzwaldpflege und Schutzwaldbegründung sind in einem künftigen NP Ammergebirge weiter existenziell notwendig und noch auf Jahrzehnte hinaus auf großen Flächen unverzichtbar. Alles andere wäre unverantwortlich.

Borkenkäfer

Wir haben sehr schmerzvoll lernen müssen, was Borkenkäfermassenvermehrungen im Wald anrichten können – auch hier im Ostallgäu und auch in Schwangau.

Im Nationalpark Bayerischer Wald hat der Borkenkäfer dafür gesorgt, dass in großen Teilen des Nationalparks und auch angrenzend keine lebende ältere Fichte mehr steht – in einem Ausmaß, das vorher unvorstellbar war.

Sollte so etwas in einem künftigen Nationalpark Ammergebirge passieren, wäre dies eine Katastrophe ungleich größeren Ausmaßes, weil wir hier ganz andere Verhältnisse haben und der Wald an vielen Stellen lebenswichtige Schutzfunktionen erfüllt. Dies ist auch eine der größten Sorgen, die die angrenzenden Waldbesitzer umtreibt, denn Borkenkäfer unterscheiden beim Fressen nicht nach Waldbesitzart.

Fakt ist, dass es selbst im Bayerischen Wald, wo die Reliefverhältnisse einfacher als im Gebirge sind, nicht gelungen ist, angrenzende Waldbestände vor der Vernichtung durch den Borkenkäfer zu schützen. Fakt ist, dass seit 3 Jahren ein Forschungsprojekt läuft, um die Auswirkungen des Borkenkäfers auf Nachbarbestände zu untersuchen. Ergebnisse hierzu gibt es noch nicht, insbesondere ist nicht belegt, dass die 500 m-Strategie wirkt. Deshalb bekämpft der Nationalpark auch zunehmend in einem 1.000 m-Streifen, aber selbst hier ist nicht zweifelsfrei sicher, ob das in allen Fällen hilft.

Und was folgern wir:

Wir brauchen eine umfassende und ausgeklügelte Bekämpfungsstrategie gegen den Borkenkäfer, also im Grundsatz Borkenkäferbekämpfung mit allen Mitteln so wie bisher, das ist dann Ausnahme Nummer 2.

Jagd

Eine Jagdausübung bisheriger Art ist in einem Nationalpark nicht vorgesehen. Es hat jedoch jahrzehntelanger und bis auf den heutigen Tag andauernder Anstrengungen bedurft, das Verhältnis Wald und Wild so in Einklang zu bringen, dass die Bergmischwälder, die im Ammergebirge so typisch sind, auch eine Chance haben, weiter hochzuwachsen.

Es müssen noch auf Jahre bis Jahrzehnte über 1.000 Stück Schalenwild jährlich aus der Fläche des geplanten NP entnommen werden, um zum einen die vorhandenen Bergmischwälder zu verjüngen oder die auch noch vorhandenen Reinbestände in Mischwälder umzubauen. Und zwar nicht nur in den Bayerischen Staatsforsten, sondern auch in den angrenzenden kommunalen und privaten Wäldern.

Tun wir das nicht, werden den Bergmischwäldern zunächst Fichtenreinbestände folgen – genau das Gegenteil dessen, was landeskulturell notwendig ist.

Also haben wir Ausnahme Nr. 3: Umfangreiche Jagdausübung im künftigen NP.

Weide

Auch die Ausübung der Weide ist standardmäßig in einem Nationalpark nicht vorgesehen.

Es trifft zu, dass im NP Berchtesgaden noch Beweidung stattfindet, im NP Bayerischer Wald hingegen nicht. In Berchtesgaden findet sie u. a. auch deswegen noch statt, weil es sich um Weiderechte handelt, also grundstücksgleiche Rechte, die im Grundbuch eingetragen sind. D. h. um sie zu beseitigen, muss man sich entweder freiwillig einigen, oder sie ggf. enteignen, was bei hunderten Rechten beides ein schier aussichtsloses Unterfangen ist.

Auch im oberbayerischen Teil des geplanten NP bestehen, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, über 400 Weiderechte. Nicht so in Schwangau. Hier gibt es lediglich einen zeitlich befristeten privatrechtlichen Vertrag zwischen Alpvereinigung und BaySF. Und hier liegt das Problem. Verträge können schlicht einfach nicht verlängert werden, und das war’s. Die Folgen für die Schwangauer Bauern wären fatal, die für die Artenvielfalt ggf. ebenso.

Was wird fällig: Ausnahme Nr. 4

Klimawandel, erneuerbare Energien

Durch Verzicht auf Holznutzung im NP würden jährlich 30.000 fm Holz nicht genutzt werden. Das müssen wir uns leisten können bei einem jährlichen Holzverbrauch von 56 Mio fm in Deutschland, tönt es uns entgegen, vor allem von Ihnen Herr Endhardt. Nur dieses Argument ist in Zeiten der Energiewende – um die wir im Übrigen nicht herumkommen – sehr sonderbar.

Diese Holzmenge würde z. B., wenn man sie allein für Heizungszwecke verwendet, was man nicht tut – ausreichen, um alle Wohnhäuser in den Gemeinden Schwangau, Halblech und Steingaden sowie großen Teilen der Stadt Füssen mit Wärme zu versorgen – nachhaltig, regional und CO2-neutral.

Die Energiewende werden wir nur schaffen, wenn wir alle Möglichkeiten, vor allem auch regional nutzen. Es wird sehr schwierig sein, dort auf ein paar Tausend fm Holz, dort auf Windräder, dort auf die Nutzung alter Buchen, dort auf ein Wasserkraftwerk, dort auf Biogasanlagen usw. zu verzichten und dann immer noch die große Wende zu propagieren. So funktioniert das nicht. Das ist nicht schwierig zu begreifen.

Tourismus

Auch wenn man es nach vielen Schilderungen meinen könnte, ein Nationalpark ist nicht primär eine Einrichtung zur Förderung des Tourismus (siehe Definition). Das wäre dann ein Naturpark, aber nicht ein Nationalpark. Und in vielen Nationalparks werden die Besucher durch Einrichtungen wie Tiergehege, Besucherzentren, Waldseilgärten, Baumkronenwege, Besuchercamps und dergl. angelockt, die, wäre man ehrlich, auch ohne NP dort stehen könnten.

Was heißt Nationalpark für den Tourismus bei uns:

Natürlich würde auch für Schwangau wohl ein nettes Wildnis/Besucherzentrum, einige schöne Tafeln, die erläutern, wie toll alles ist, abfallen, auch ließen sich neue Gäste ansprechen. Aber es gäbe auch Einschränkungen. In praktisch jedem Nationalpark gibt es ausgefeilte Besucherlenkungskonzepte, und das jetzt noch garantierte freie Betretungsrecht wird mit Sicherheit eingeschränkt.

Das, verbunden mit ggf. großflächigen Borkenkäferkalamitäten, passt geradezu traumhaft dazu, dass die Gemeinde Schwangau gerade dabei ist, sich in Sachen Wandern neu und sehr professionell aufzustellen.

Und selbst wenn es bei uns anders wäre:

2 zentrale Fragen bleiben. Brauchen wir im Ammergebirge, brauchen wir in Schwangau massive Steigerungen der Besucherzahlen und ist ein Nationalpark die einzige Möglichkeit, Umweltbildung und Naturerleben zu ermöglichen? Beide Fragen sind meiner Meinung nach mit einem klaren Nein zu beantworten.

Nationalparkverwaltung und Nationalparkverordnung

Immer wenn ein Argument eines Nationalparkgegners nicht mehr wegzuwischen ist, lautet die Antwort des FV: Dafür gibt es Ausnahmen in der NP-Verordnung. Soweit, so gut. Doch wie wird ein Nationalpark verwaltet, wer bestimmt, was darin geschieht und wie entsteht eine Nationalparkverordnung?

Zunächst beschließt auf Vorschlag der Staatsregierung letztendlich der Bayerische Landtag, dass man einen neuen Nationalpark braucht. Eine Verordnung für den Nationalpark wird entwickelt, die in einem politisch-verwaltungsmäßigen Verfahren entsteht. In diesem Verfahren sind die Menschen vor Ort (wie das geschilderte Beispiel Lindberg zeigt) die sicherlich unwichtigsten Mitspieler. Keinesfalls werden entsprechende Ausnahmeregelungen, ob zeitlich befristet oder nicht, auf Zuruf eines Fördervereins in die entsprechenden Texte aufgenommen. Ferner ist, was in der Verordnung steht, wie bei jeder Vorschrift, nicht für die Ewigkeit bestimmt – genausowenig wie zum Beispiel in einer Verordnung über das Naturschutzgebiet Ammergebirge, die ja auch einmal eine wesentlich harmlosere Fassung hatte. …

Ein Nationalpark wird durch eine eigene Behörde, eine Nationalparkverwaltung, die in Bayern dem Umweltministerium untersteht, verwaltet. Sie tut dies auf der Grundlage der oben geschilderten Verordnung über den jeweiligen Nationalpark. Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Gemeinde in diesem Teil ihres Hoheitsgebietes sind dann nur noch minimal.

Zonierung

Ziel nach IUCN ist immer eine möglichst große Kernzone, und dies möglichst schnell und i. d. R. auf über 75 % der Fläche. Kernzone heißt aber nicht, dass diese Zone immer in der Mitte liegt, sondern sie liegt da, wo es nach i. d. R. wissenschaftlich-verwaltungsmäßigen Ansicht am wichtigsten ist. Im Detail ist das nicht so ohne weiteres vorhersagbar.

Arbeitsplätze

Es entstehen Arbeitsplätze neu wie z. B. in der wissenschaftlichen Arbeit, es fallen welche ganz weg wie z. B. beim Holztransport, der Holzverarbeitung, manche ändern sich wie z. B. Ranger statt Förster und Jäger, Parkplatzwächter statt Waldarbeiter, oder natürlich Nationalparkverwalter statt Forstverwalter, im Grunde dürfte es nach Untersuchungen in anderen Parks ein Nullsummenspiel sein.

Akzeptanz vor Ort

In den beiden direkt angrenzenden bzw. betroffenen Gemeinden Halblech und Schwangau gibt es klare Gemeinderatsbeschlüsse mit jeweils überwältigender Mehrheit, die die Errichtung eines Nationalparks Ammergebirge ablehnen.

Was sagt der Grundbesitzer Freistaat Bayern:

Er sagt, dass wir keinen weiteren Nationalpark brauchen und weitere umfangreiche Flächenstilllegungen im Wald nicht auf der Tagesordnung stehen.

Das sagt die Politik und dementsprechend auch die örtlichen Verwalter, sprich der Forstbetrieb Oberammergau.

Ich fasse zusammen:

Der bereits jetzt vorhandene Schutzstatus des Gebietes ist sehr hoch.

Ein Nationalpark Ammergebirge ist aus rechtlichen Gründen und aus Gründen der Landeskultur nur mit zahlreichen, dauerhaften Ausnahmeregelungen, die im Kern der Nationalparkdefinition widersprechen, realisierbar.

Dies betrifft die Bereiche:

  • Arten und Lebensräume
  • Erhalt der Mischwälder
  • Waldumbau
  • Waldschutz gegen Borkenkäfer
  • Jagd
  • Erhalt der Schutzfunktionen des Waldes
  • Weide

Für eine nachhaltige Sicherung der Tourismusstandorte im Ammergebirge gibt es günstigere Möglichkeiten als die Errichtung eines Nationalparks.

Einen Nationalpark mit zahllosen Ausnahmeregelungen, für den im Kern nur übrigbleibt, dass kein Holz mehr gemacht wird, der aber dennoch zahlreiche unerwünschte Nebenwirkungen hat, brauchen wir nicht.

 

Hohenschwangau, 03.07.2012

 

R. Berchtold